Zum Tode von Prof. Dr. Jörg Jeremias

Das Rhein-Main-Exegesetreffen trauert um sein langjähriges Mitglied Prof. Dr. Jörg Jeremias, der am 3. Oktober 2024 im Alter von 85 Jahren verstarb. Jörg Jeremias wurde am 15. April 1939 in Göttingen in eine Familie bedeutender Theologen geboren, die enge Verbindungen zu Jerusalem hatte. Zunächst in Jura und Altphilologie eingeschrieben, wandte er sich bald dem Theologiestudium zu, das, wie er selbst schreibt „mit seinen philologischen, historischen, systematischen und praktischen Problemstellungen das bei weitem reichste und umfassendste Studium innerhalb der Geisteswissenschaften ist“ (Alttestamentliche Wissenschaft in Selbstdarstellungen, hg. v. S. Grätz / B.U. Schipper, Göttingen 2007, 251). Er studierte Evangelische Theologie in Göttingen, Zürich und Heidelberg, bis ein Studienjahr an der Yale University sein Interesse für altorientalische Sprachen weckte und zu einer Magisterarbeit über „Rephaim in the Old Testament and rpum in the Ugaritic Texts“ führte. Danach setzte er sein Studium bei Martin Noth in Bonn fort, wo er im Juli 1964 mit einer Arbeit zu alttestamentlichen Theophanietexten promoviert wurde. Parallel dazu legte er das Erste Theologische Examen der Hannoverschen Landeskirche ab. Zu seinen prägenden Lehrern gehörten Gerhard von Rad, Albrecht Götze, der nach seiner politisch motivierten Entlassung in Marburg 1933 in Yale eine zweite wissenschaftliche Heimat gefunden hatte, Martin Noth und schließlich Hans Walter Wolff. Letzterer lud ihn noch im Vikariat ein, sein Assistent zu werden. Jeremias folgte dieser Einladung, zunächst nach Mainz, dann 1967 nach Heidelberg, wo er sich 1969 mit einer Arbeit zu „Kultprophetie und Gerichtsverkündigung in der späten Königszeit“ (WMANT 35, 1970) habilitierte. 1972 wurde er als ordentlicher Professor für Altes Testament an die Evangelisch-Theologische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen. Das Protestantisch-Theologische Institut der Universität Klausenburg, Rumänien verlieh Jörg Jeremias 1992 die Ehrendoktorwürde. Zum Wintersemester 1994/95 folgte er dem Ruf an den Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg, wo er bis zu seiner Emeritierung im September 2005 den Lehrstuhl für Altes Testament innehatte.

Einer seiner Forschungsschwerpunkte war die Entstehung und Entwicklung des Phänomens der Schriftprophetie, die im Kontext der Umweltkulturen einzigartige Erscheinung der Sammlung und Überarbeitung von Prophetenworten bis hin zu umfassenden Buchrollen und gar buchübergreifenden Redaktionen. Nach Studien zu Hosea und Amos und deren frühen übergreifenden Redaktionen („Hosea und Amos. Studien zu den Anfängen des Dodekapropheton“, 1996), stellte er in Forschungen zu Joel, Obadja und Deuterojesaja bereits früh Beobachtungen zum mittlerweile breit untersuchten Phänomen der sog. Tradentenprophetie an. Seine Prophetenstudien mündeten in die Kommentierung der ersten sechs der „kleinen Propheten“ Hosea bis Micha für die Reihe Altes Testament Deutsch (Hosea 1985; Amos 1993; Joel, Obadja, Jona, Micha, 2007) sowie die Kommentierung von Nahum (2019) und Habakuk (2022) für den Biblischen Kommentar. Aus seiner Feder stammen außerdem mehrere Forschungsüberblicke („Die Anfänge der Schriftprophetie“, 1996; „Das Wesen der alttestamentlichen Prophetie“, 2006) und unzählige Aufsätze. Mit all dem hat Jörg Jeremias die deutsche und internationale Prophetenforschung auf lange Sicht beeinflusst.

Seit seiner Dissertation „Theophanie. Die Geschichte einer altisraelitischen Gattung“ (1. Aufl. 1965; 2. Aufl. 1977) richteten sich seine Forschungsinteressen zudem auf die israelitische Religionsgeschichte im Kontext der Kulturen der sog. Umwelt, was sich in der weiteren Monografie „Das Königtum Gottes in den Psalmen“ (1985) manifestierte. Dazu gehörte auch die Biblische Archäologie, deren Befunde und Deutungen er mit Interesse aufgriff und für seine Forschung fruchtbar machte. Dass ihn hierbei und darüber hinaus ein genuin theologisches Interesse leitete, zeigt sich in den Studien „Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung“ (1. Aufl. 1975; 2. erw. Aufl. 1997) und „Der Zorn Gottes im Alten Testament“ (1. Aufl. 2009; 2. Aufl. 2011) sowie in einem Sammelband „Studien zur Theologie des Alten Testaments“ (2015). Eine Summe seiner theologischen Forschungen zum Alten Testament zieht Jeremias’ 2015 erschienene „Theologie des Alten Testaments“. Stets mit philologischer und methodischer Strenge, aber persönlich zugewandt leitete er viele Studierende zum genauen Textstudium an und förderte junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sein Schülerkreis hat ihm dafür in einer Festschrift mit dem Titel „Schriftprophetie“ (hg. v. F. Hartenstein / J. Krispenz / A. Schart 2004) zum 65. Geburtstag vielstimmigen Dank und Ehre zuteilwerden lassen.

Jörg Jeremias war ein herausragender Forscher und Lehrer mit einem klaren und innovativen exegetischen Blick, der die Quellen des Alten Orients und die Befunde der Biblischen Archäologie umsichtig berücksichtigte und die theologische Tragweite der von ihm erforschten Texte darlegte.

Das Rhein-Main-Exegesetreffen wird Jörg Jeremias ein ehrendes Andenken bewahren.

(Aus dem Nachruf von Prof. Dr. Alexandra Grund-Wittenberg und Prof. Dr. Christl M. Maier, Marburg)

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